Abstract: The installation Die Sehmaschine (The Vision Machine) is based on the idea of generating a movie that is part of the mental image of the internet. The project takes snapshots from all kinds of webcams spread over the internet. It combines these images into one image at a time and appends these generated images as frames to a movie leading to floating asthetics. Thus the generated movie is not only a time lapse, but also a space lapse, because of the views allocated in various parts of the world which are then rendered into a movie. What you may encounter using this documentation is what the data, the project is collecting looks like, and what the possible output of the installation might look like. All images and movies included in this documentation result from the 14 days of evaluation from 2005-03-13 07:45 pm to 2005-03-27 07:40 pm.

Sehen erzeugt Bilder auf der Netzhaut. Um die gesehen Bilder zu speichern, müssen sie gedacht werden. Aus den Sehbildern werden Denkbilder. In seinem Buch Die Sehmaschine schreibt Paul Virilio:

"Zu einem Zeitpunkt, an dem die Automatisierung der Wahrnehmung, die Erfindung eines künstlichen Sehens, die Delegierung der Analyse der objektiven Realität an eine Maschine bevorsteht, sollte man sich wieder der Bildbeschaffenheit des virtuellen Bildes zuwenden, einer Bilderwelt ohne sichtbaren Träger, deren Fortdauer nur auf einem mentalen oder instrumentalen visuellen Gedächtnis beruht."

Ein solches, instrumentales Gedächtnis hat das Internet als Organismus mit Projekten wie der WaybackMachine und dem Caching Feature von Google hervorgebracht. Was diese künstlichen Gedächnisse des künstlichen Organimsus Internet jedoch nicht erfassen sind dessen Bilder. Es sind in Virilios Sinne also keine visuellen Gedächtnisse. Wie sähe ein solches Archiv der Bilder des Internet - die visuelle Erinnerung des Internet - aus?

Denkbilder sind Erinnerungen. Doch Erinnerungen sind nie eine direktes Abbild der Realität. Auch das menschliche Gehirn kann nicht alles Speichern. Dem Computer gleich komprimiert es die Erinnerungen; es verdichtet sie zu Mustern und Schemata. In Träumen verarbeitete der Mensch seine Erinnerungen. Denkbilder sind also zunächst Traumbilder. Doch Traumbilder sind nie klar und haben keine eindeutige Sprache. Erinnerungen vermischen und verwischen sich gegenseitig. Das Denkbild ist einen Konjugat oder Substrat der Sehbilder. Doch was sind eigentlich die Sehbilder des Internet?

Durch Webcams wird das Internet um künstliche, in unsere sichtbare Welt blickende, Augen erweitert. Doch schon längst blicken diese Augen nicht mehr nur an jene Orte die wir gesehen haben wollen. Ihr Blick hat sich vom legendären Trojan Room coffee pot abgewandt. Sie blicken auf die Straßen auf denen wir uns bewegen und in die Geschäfte in denen wir einkaufen. Sie blicken in unsere Großraumbüros und beobachten uns beim Arbeiten, in die Küchen der Restaurants in die wir zum Essen gehen, in unsere Vorgärten und sogar in unsere Appartments. Einige beobachten unsere Haustiere und wieder andere beobachten für uns die Natur.

Die in diesem Projekt verwendeten Kameras sind genau solche Kameras, die ihren Blick abgewendet und als exoprothetische Erweiterung der Augen ihrer Besitzer fungieren. Doch deren Fahrlässigkeit macht sie über das Internet erreichbar. Es sind Webcams, die von ihren Besitzern und Administratoren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, dazu ist die Qualität der Bilder zu hoch. Es sind Überwachungskameras; teils von Firmen, teils von Privatmenschen, die unachtsamerweise, aber dafür zu Hunderten und Tausenden im Internet verfügbar sind.

Im Rahmen des Projekts Die Sehmaschine wurden zur Evaluation der im Internet verfügbaren Kameras im Zeitraum von zwei Wochen (2005-03-13 19:45 bis 2005-03-27 19:40) von über 300 Kameras alle fünf Minuten Bilder gespeichert. Die dafür notwendig Bandbreite betrug im Schnitt ca. 170 KB/s. Aus diesen ca. 35 GB Gigabyte gesammelter Daten wurde das in dieser Dokumentation enhaltene Bild- und Videomaterial erzeugt.

Seit dem Abschluss der Evaluationsphase werden Bilder von regelmäßig wechselnden Kameras aus dem ständig aktualisierten Repertoire an Webcamadressen gespeichert und miteinander zu einem virtuellen Bild verrechnet. Diese Bilder werden täglich als Frames an einen, auf diese Weise ständig wachsenden, Film gefügt. Das Rauschen der wechselnden Bilder geht durch die Anzahl der miteinander verrechneten Webcams und durch die natürlichen Rhytmen des Wechsels zwischen Tag und Nacht unter, sodass eine fließende Ästhetik ensteht. Das Projekt zeichnet damit fortlaufend einen Zeit- sowie Raum-Raffer, der durch Webcams ins Internet eingespeisten Einblicke in unsere Realwelt: eben einen Teil jenes eingangs erwähnten Denkbilds des Internet.

Die Installation Die Sehmaschine ist konzipiert für einen Videobeamer, der den bereits generierten Film im Loop zeigt; einen Bildschirm, der den Arbeitsprozess der, den Film erzeugenden, Software zeigt, sowie ein Terminal (Bildschirm mit Maus) zur interaktiven Einsicht in das erstellte Archiv.

die sehmaschine ist ein Medienkunstprojekt von Philipp Hofmann (aka Johann Marcusek) © 2005